Ausbildungschancen junger Migrantinnen und Migranten: Große Unterschiede je nach Herkunftsland
Dass die Suche nach einer Ausbildungsstelle für Jugendliche aus Familien mit einer Migrationsgeschichte viel schwieriger ist als für Jugendliche ohne Migrationshintergrund, ist bekannt; dass es aber auch innerhalb der Gruppe der jungen Migrantinnen und Migranten noch einmal große Unterschiede je nach ihrer Herkunftsregion gibt, zeigt eine aktuelle Analyse des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). So ist es insbesondere für Jugendliche, deren Familien aus der Türkei oder arabischen Staaten stammen, deutlich schwerer, einen Ausbildungsplatz zu finden, als für Jugendliche anderer Herkunftsregionen – auch wenn sie über die gleichen Schulabschlüsse verfügen.
Die Untersuchung des BIBB beruht auf der Befragung ausbildungsreifer Jugendlicher, die bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) als Bewerber/-innen um einen Ausbildungsplatz gemeldet waren (BA/BIBB-Bewerberbefragung 2010). Sie zeigt, dass sich bei Bewerberinnen und Bewerbern mit türkisch-arabischem Hintergrund kein Vorteil eines mittleren Schulabschlusses erkennen lässt. Die Übergangsquoten in eine betriebliche Ausbildung sind mit 20 % ebenso niedrig wie bei maximal einem Hauptschulabschluss. Selbst wenn diese Jugendlichen eine (Fach-)Hochschulreife vorweisen können, bleiben ihre Aussichten gering (26 %).
Bei Bewerberinnen und Bewerbern südeuropäischer Herkunft ist dies anders: Während auch ihnen mit einem Hauptschulabschluss nur vergleichsweise selten der Übergang gelingt (22 %), steigt ihre Erfolgswahrscheinlichkeit bei einem mittleren Schulabschluss bereits beträchtlich an (40 %). Besitzen sie die (Fach-)Hochschulreife, so ist die Einmündungsquote mit 59 % sogar die höchste von allen Vergleichsgruppen – einschließlich der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.
Die gemeldeten Bewerber/-innen mit südeuropäischer Herkunft besitzen mit 48 % am häufigsten maximal einen Hauptschulabschluss. Bei türkisch-arabischer Herkunft sind es 45 %, bei osteuropäischer 43 %. Ohne Migrationshintergrund beträgt der Anteil lediglich 33 %. Bewerber/-innen mit türkisch-arabischem Hintergrund weisen relativ häufig einen mittleren Schulabschluss (45 %) auf, aber nur selten die (Fach-)Hochschulreife (7 %). Bei südeuropäischer Herkunft erreichen die entsprechenden Anteile 38 % und 10 %, bei osteuropäischer Herkunft 42 % und 13 % (ohne Migrationshintergrund 51 % und 14 %).
Junge Migrantinnen und Migranten werden bei der Ausbildungsplatzsuche zudem seltener zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Während sich mehr als drei Fünftel der Bewerber/-innen ohne Migrationshintergrund persönlich in Betrieben vorstellen können, trifft dies nur auf die Hälfte der jungen Migrantinnen und Migranten zu. Noch niedriger liegt der Anteil bei Jugendlichen mit türkisch-arabischem Hintergrund (46 %).
Angesichts solcher Zahlen sieht BIBB-Präsident Friedrich Hubert Esser weiteren Forschungsbedarf: „Das BIBB wird daher die Auswahlprozesse der Betriebe bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen noch differenzierter untersuchen.“ Esser plädiert dafür, insbesondere Jugendlichen mit Migrationshintergrund über eine verstärkte Berufsorientierung und Praktika einen Einblick in die Betriebe und damit den Betrieben beste Voraussetzungen für die Rekrutierung ihres Nachwuchses zu ermöglichen. So hätten beide Seiten – Betrieb und Jugendliche – die Möglichkeit, sich kennen und schätzen zu lernen. „Denn letztendlich müssen wir allen eine faire Chance auf Ausbildung geben. Nur so kann eine wirkliche Integration unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger gelingen.“
Bis Ende 2010 sind zudem nur 28 % der Bewerber/-innen aus Familien mit einer Zuwanderungsgeschichte erfolgreich in eine betriebliche Berufsausbildung eingemündet, gegenüber 42 % bei denjenigen ohne Migrationshintergrund. Während bei einer ost- oder südeuropäischen Herkunft die Aufnahme einer betrieblichen Ausbildung mit 34 % beziehungsweise 33 % etwas häufiger gelingt, sind es bei einem türkisch-arabischen Hintergrund lediglich 20 %.
Die Bewerber/-innen, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz gefunden haben, sind am Jahresende 2010 in unterschiedliche Alternativen eingemündet. Ein kleiner Teil befindet sich in außerbetrieblicher beziehungsweise schulischer Berufsausbildung oder einem Studium (mit Migrationshintergrund: 13 %, ohne: 15 %). Die übrigen Bewerber/-innen gehen zum Beispiel weiter zur Schule, besuchen einen teilqualifizierenden Berufsbildungsgang, jobben oder sind arbeitslos. Dies kommt bei jungen Migrantinnen und Migranten häufiger vor als bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (55 % zu 40 %).
Insgesamt sind die Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund mit ihrer aktuellen Situation daher auch unzufriedener als diejenigen ohne Migrationshintergrund. Seltener ist ihr Verbleib „wunschgemäß“ oder entspricht einer „in Betracht gezogenen Möglichkeit“ (48 % zu 60 %). Öfter stufen sie hingegen ihre Situation als „Notlösung“ oder „Sackgasse“ ein (21 % zu 16 %). Bei den Jugendlichen mit türkisch-arabischer Herkunft trifft dies sogar auf ein Viertel zu.
Hintergrund:
Von den rund 552.000 im Berichtsjahr 2009/2010 bei der BA gemeldeten Bewerber/-innen haben 26 % einen Migrationshintergrund. Von ihnen kommt über ein Drittel (36 %) aus osteuropäischen und den GUS-Staaten. Sie selbst beziehungsweise ihre Familien sind meist ab Ende der 1980er-Jahre als (Spät )Aussiedler/-innen nach Deutschland eingereist. Fast ebenso groß (35 %) ist der Anteil mit türkischem oder arabischem Hintergrund, wobei die Mehrheit aus der Türkei stammt. Sie sind größtenteils Nachfahren türkischer „Gastarbeiter“, die in den 1960er- bis Anfang der 1970er-Jahre zuwanderten. Etwa halb so groß (18 %) ist die Gruppe der Bewerber/-innen südeuropäischer Herkunft, die ebenfalls oft aus ehemaligen Gastarbeiterfamilien stammen. Die übrigen Bewerber/-innen (12 %) sind aus anderen Staaten und Regionen nach Deutschland zugereist.
Die BIBB-Analyse auf Basis der Bewerberbefragung umfasst nicht die rund 292.000 Jugendlichen, denen es im Vermittlungsjahr 2009/2010 ohne Unterstützung der BA gelungen ist, einen dualen Ausbildungsvertrag abzuschließen, und ebenso nicht die Jugendlichen, die von der BA als „nicht ausbildungsreif“ eingestuft wurden.
Die Ergebnisse der BIBB-Untersuchung sind in der aktuellen Ausgabe von BIBB REPORT, Heft 16/11, veröffentlicht.
Quelle: Pressemitteilung 55/2011 des BIBB